Stadteil-Botschafter-Mentorinnen im Dialog

Über Vertrauen, schlaflose Nächte und belohnende Momente

aufgezeichnet von Jens-Ekkehard Bernerth

Teilen

Petra Rothe ist ehemalige Stadtteil-Botschafter-Mentorin, Svetlana Ivkin und Sitha Reis sind seit einigen Jahren aktiv beim Projekt dabei. Im Gespräch tauschen sie sich über die Erfahrungen aus, die sie in der jahrelangen Begleitung des Projekts gemacht haben.

Svetlana: Liebe Petra, ich freue mich unglaublich, dich zu sehen. Du warst immer für mich auch eine Mentorin. Anfangs war ich sehr unsicher, doch du hast mir die Hand gereicht, hast mir Hilfestellung und Sicherheit gegeben. Dafür bin ich dir unglaublich dankbar. Ich habe deine Unterstützung die ganze Zeit gespürt, das hat mich ge- und bestärkt.

Petra: Liebe Svetlana, dankeschön. Das ist Gänsehaut.

Svetlana: Dieses Gefühl des Zusammenhalts in unserem Mentoren-Team war stets etwas Besonderes. Das kann Sitha denke ich bestätigen, diese enge Verbindung – auch zu Johanna Roos und Silja Flach (Projektbetreuerin und -leiterin, Anm. d. A.). Wir können uns jederzeit alles sagen und müssen kein Blatt vor den Mund nehmen. Das Gefühl in unserem Team ist wirklich mächtig, und dieser Zusammenhalt gibt uns auch Halt und Kraft, um die Mentees richtig zu begleiten und zu stärken. Es gibt keine Situation, die wir gemeinsam – ich unterstreiche das – nicht meistern. Und ich denke, das wird auch spürbar für unsere Mentees.

Motivation, die von innen kommt

Svetlana: Dem kann ich nur zustimmen. Ich bin gerade dabei, eine Schulung vorzubereiten und dafür das Curriculum zu schreiben. Da stehen ganz viele kluge Worte, zum Beispiel Grundlagen der Jugendarbeit in der Bundesrepublik Deutschland, Ehrenamtliche interkulturelle Jugendarbeit im demokratischen Prozess, Toleranz, Mitbestimmung und Achtung der Würde des Menschen, Analyse der subjektiven und gesellschaftlichen Situation von Kindern und Jugendlichen aus Migrantenfamilien, Mitbestimmung im demokratischen Kontext und Grenzen und Möglichkeiten der Partizipation für Migranten – all das habe ich innerhalb des Programms gelebt. Wenn Menschen, junge Menschen, das einmal erlebt haben, dass sie mitbestimmen und partizipieren dürfen und können, dann öffnet das viele Türen. Oft wird gefragt: "Wie kann man ehrenamtliche junge Leute motivieren?"

Doch ich finde, man muss sie nicht zu motivieren. Die Motivation kommt von innen, von ihnen selbst. Und das kommt, wenn sie einmal erlebt haben, dass sie wirklich Einfluss haben können. Das motiviert sie, und dann bleiben sie auch weiter aktiv. So wie bei Vane zum Beispiel mit ihrem Verein Kultur pur. Tim und Lena haben sogar eine eigene Firma gegründet, die das Projekt Oldschool-Magazin weiterführt. Oder Amina. Neben ihrem prämierten Stadtteil-Botschafter-Projekt "Sport vereint! Inklusion durch Karate!" ist sie noch im Vorstand und Jugendsprecherin des Frankfurter Vereins der Sportjugend und dort für Inklusionsprojekte verantwortlich. Und ich glaube, dass all diese Beispiele deshalb so geglückt sind, weil sie mit der Stadtteil-Botschafter-Ausbildung sehr gut ausgerüstet und sehr gut ausgebildet wurden.

Petra: Die jungen Leute, die sich für das Projekt Stadtteil-Botschafter anmelden, ticken finde ich sowieso ein bisschen anders. Da haben wir sowieso schon die Spitzenklasse von den jungen Menschen, glaube ich.

Svetlana: Ja. Aber manche müssen auch aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt werden, vor allem, wenn sie aus dem Umfeld unserer Mentees stammen. Die trauen sich dann gerne mal nicht richtig, sagen gerne sowas wie "Ach nein, ich bin nicht so eine." Wenn man es dann aber schafft, Neugier und Motivation zu wecken, kann das wunderbare Blüten treiben.

»Wenn man es schafft, Neugier und Motivation zu wecken, kann das wunderbare Blüten treiben.«

Svetlana Ivkin
Stadtteil-Botschafter-Mentorin

Sitha: Dass diese Inspiration hineinwirkt in den Freundeskreis oder die Familien und am Ende dann auch Geschwister oder Freundinnen kommen, das sehe ich auch so. Das ist auch wirklich ein ganz, ganz tolles und hilfreiches Netzwerk. Bei dieser Strahlwirkung habe ich manchmal das Gefühl: Vielleicht können wir da schon begleitend versuchen bei den Leuten, die im Umfeld inspiriert werden, so wie du das gerade beschrieben hast, Svetlana, die Leute schon ein bisschen mit einzubeziehen, während die Projekte von den Menschen laufen, die sie inspirieren. Denn sonst kommt genau so was wie: "Ich bin nicht so eine", weil sie nicht spüren, dass sie Beteiligung daran haben können. Und ich merke das, wenn dann Leute kommen, die inspiriert sind von anderen, dass dann nicht unbedingt die gleiche intrinsische Motivation, das gleiche Selbstvertrauen da ist. Ich habe das Gefühl, es dauert bei manchen etwas. Man darf sie nicht loslassen.

Petra: Ja, genau das würde ich genau unterschreiben. Nicht loslassen ist so wichtig. Ein Teilnehmer hat mir mal am Ende des Projekts eine Trommel geschenkt. Ich habe zunächst gar nicht die Symbolik verstanden. Dann hat er gesagt: "Weil du immer getrommelt hast, du hast nicht losgelassen. Sonst hättest du mich verloren." Ich glaube, wir hätten in all den Jahren immer wieder mal jemanden verloren, wenn wir die jungen Menschen nicht immer wieder zurückgeholt hätten. Auch ist es wichtig zu schauen, wie die jeweiligen Mentees überhaupt ticken. Was sie für Bedürfnisse haben. Wie die Passung ist. Und ich glaube, sie brauchen immer wieder diese Ansprache. Wir müssen trommeln, wir müssen sie mitziehen.

Selbst wenn ein Projekt nicht immer unbedingt gelingt, oder aber so wird, wie es ursprünglich geplant war. Ich habe zu meiner Zeit viele Feedbackgespräche geführt, da habe ich immer wieder zu hören bekommen: "Okay, ich habe jetzt mein Projekt gar nicht groß entwickeln können. Aber ich weiß jetzt, dass ich mir selbst teilweise im Weg gestanden habe und ich weiß, was ich heute anders machen könnte oder würde, wenn ich nochmal die Gelegenheit hätte." Ich glaube, die jungen Menschen nehmen aus dem Projekt ganz viel mit, sowohl durch unsere Arbeit als auch das, was die Stiftung zusätzlich als Input gibt. Dessen bin ich mir ganz sicher.

In eine neue Rolle schlüpfen

Sitha: Was mich interessieren würde, Petra, in deiner Rolle als Ehemalige: Was war dir wichtig, was hast du mitgenommen aus deiner Zeit als Mentorin?

Petra: Ich habe vor allem mitgenommen zu versuchen, immer auf Augenhöhe zu arbeiten. Es gibt einen Satz, den habe ich von Annette Gloser (ebenfalls Stadtteil-Botschafter-Mentorin, Anm. d. A.), der mir in der Arbeit sehr geholfen hat: "Wir sind alle Kinder unserer Zeit." Dementsprechend habe ich nie versucht, mein Wesen und meine Art den Mentees überzustülpen. Ebenfalls äußerst hilfreich war die Shell-Studie, die einen wunderbaren Einblick in das Denken der neuen Generation ermöglicht. Ich habe viele Stiftungen kennengelernt und muss sagen, die Stiftung Polytechnische Gesellschaft ist mit ihren Projekten eine tolle Stiftung, und das Geld kommt auch da an, wo man es braucht: in den Projekten. Es lohnt sich einfach, in junge Menschen zu investieren. Und die Stiftung hat das Geld und investiert in junge Menschen. Die, die das freiwillig annehmen wollen. Und da müssen wir, ich sag jetzt mal, wir Mentoren, noch mehr dafür sorgen, dass wir noch mehr junge Menschen erreichen. Was hast du für dich denn rausziehen können aus deiner Tätigkeit als Mentorin, Sitha?

Sitha: Ich glaube, ich habe gelernt, Geduld zu haben und manchmal auch darüber hinwegzugehen und drüber hinwegzusehen, dass die Leute mal unmotiviert wirken und dass man ihnen Sachen hinterhertragen muss. Ich wurde an meine eigene Unsicherheit als Teenager erinnert, wie weltumspannend Unsicherheit und Misstrauen sein können und eben nicht das ist, was aus Erwachsenensicht irgendwie schlampig wirkt oder unzuverlässig oder unverständlich. Empathie ist Schlüssel zu so vielem, und vor allem Vertrauen. Vielleicht ist das der Punkt. Vertrauen in die andere Person und Vertrauen in sich selbst. Über kleine Erfolge. Und gemeinsame Schritte. Dann werden die Leute dahin kommen zu verstehen, wovon sie profitieren können.

Petra: Dieses Wort "Vertrauen" ist wirklich absolut wichtig. Für viele ist es vielleicht eine ganz neue Situation, jemanden an der Seite zu haben, der oder die da ist. Der Vertrauen schenkt. Und auch mal sagt: "Du kannst auch mal schwach sein, das macht nichts.“ Mit den Mentees redet man ja nicht nur über das Stadtteil-Botschafter-Projekt, sondern auch übers Leben. Wenn eine Vertrauensbasis da ist, öffnen sich die jungen Leute und so erfahren wir manchmal erst, warum die Dinge im Moment laufen, wie sie laufen. Im Guten wie im Schlechten. Bei einem Stipendiaten ging es sogar so weit, dass ich "Mama 2" genannt wurde, übrigens auch von dessen Familie.

Sitha: Vielleicht kann ich auf diesem Weg künftig zu Stipendiatinnen und Stipendiatinnen durchdringen. Es kann ja schon vorkommen, dass eine oder mehrere Barrieren, beispielsweise sprachlich oder kulturell, existieren und überwunden werden müssen. Vielleicht kann mit einem Besuch zu Hause ein Raum geschaffen werden, in dem ich dann an die Leute rankommen und sich so das Projekt entfalten kann.

Petra: Es muss natürlich nicht das Ziel sein, zu den Leuten nach Hause eingeladen zu werden. Aber manche wollten das, dass man sich zu Hause trifft, die Eltern kennenlernt und eben zeigt: "Das ist meine Mentorin." Das ist natürlich auch schön.

Das Frankfurt-Stipendium

Stadtteil-Botschafter

Weitere Informationen über das Stipendium

zur Projektseite

»Gib es nicht zurück, gib es weiter«

Svetlana: Guter Kontakt zu den Eltern hilft sehr. Eltern sind wichtige Personen für junge Erwachsene. Und in der Familie finden sie bestenfalls auch ganz starke Unterstützung. Dadurch, dass wir quasi an einem Strang ziehen, können wir unsere Kräfte vereinen. Mit der Familie eines Stadtteil-Botschafters war es auch sehr eng. Da hat die Mutter meinen Mann – er hilft gerne mal ehrenamtlich mit – und mich angesprochen mit: "Na, hallo Co-Eltern." Das war mir eine Ehre und wirklich schön, obwohl ich keinen Anspruch habe, wirklich als ein Elternteil zu fungieren. Da muss ich mich auch bremsen, weil ich eine andere Rolle habe. Von den Mentees lerne ich auch ganz viel. Wie mutig die sind, wie sie versuchen, ihre Idee durchzusetzen und dranzubleiben. Und manchmal haben sie Einfälle, die ich persönlich vielleicht nicht so am Anfang teile, aber dann sehe ich: "Ah, funktioniert!"

Wenn dann auch noch am Ende, nach all der Vorbereitung, alles funktioniert und läuft, das ist einfach ein unglaubliches Gefühl. Zu sehen, dass Mentees sich was trauen und das umsetzen und selbst realisieren: "Oh, das habe ich gemacht?!" – das sind die glücklichsten Momente. Ich bin wirklich, wirklich stolz auf alle. Auf alle Stadtteil-Botschafter, die wir begleitet haben und die wir jetzt haben und hoffentlich noch haben werden.

Petra: Ich fand es auch jedes Mal einfach grandios, wie unsere Stadtteil-Botschafterinnen und -Botschafter gewachsen sind am Ende eines Projekts. Die gehen auf einmal auf eine Bühne, obwohl sie anfangs sowas von schüchtern und verunsichert waren, und präsentieren sich und ihr Projekt. Da haben wir Mentoren auch oft gestaunt. Wie groß ist das denn bitte? Ich habe in meinem Leben auch immer Mentoren gehabt, die sich natürlich nicht als Mentoren bezeichnet haben, aber Menschen, die ich an meiner Seite hatte, die mich unterstützt haben für was auch immer. Man möchte das dann auch weitergeben. So sehe ich das auch.

Svetlana: Das gilt finde ich ebenfalls für die Stadtteil-Botschafter, die wollen gerne auch was zurückgeben. Da sag ich immer: "Gib es nicht zurück. Gib es weiter!" Das ist das größte Geschenk für mich. Wenn ehemalige Stadtteil-Botschafter sich beispielsweise als Co-Mentoren engagieren, ein bisschen mithelfen, ein bisschen mitunterstützen. Sie werden das, was sie gelernt haben, weitergeben.

Sitha: Noch eine Sache, die mir wichtig ist, anzusprechen: Es kann ja nicht immer alles klappen. Manchmal knallt es auch. Aber daraus können Lösungen wachsen und ein besseres Miteinander entstehen, wenn wir die Menschen, die irgendwie im Konflikt gegangen sind, wiedergewinnen können. Und das hoffe ich sehr, dass ich und wir dann wieder die Möglichkeit haben, den Anschluss wiederzufinden.

Petra: Ein wichtiger Punkt. In der Zeit als Mentorin habe ich unwahrscheinlich viel über mich selbst gelernt. Und ja, der eine oder andere junge Mensch hat mir auch schlaflose Nächte bereitet. Beispielsweise, als ich einmal von einer Stipendiatin als Mentorin abgelehnt wurde. Ich weiß bis heute nicht, warum das so war. Sie vermutlich auch nicht. Wir haben dann zueinander gefunden, und ich habe mich dadurch von einer anderen Seite kennengelernt.  Denn es ist nicht leicht zu sagen, dass es nichts mit einem selbst zu tun hat. Aber den Umstand zu akzeptieren, das ist nicht so einfach. Aber damit müssen wir halt auch umgehen als Mentorinnen und Mentoren.

Svetlana: Trotzdem denke ich, dass wir da einen Traumjob machen. Das ist die sinnvollste Beschäftigung überhaupt, Zeit und Kraft in junge Menschen zu investieren. Wir schaffen Zukunft mit unserer Arbeit.

15 Jahre junges Engagement für Frankfurt

Geschichten, die ein Stipendium schreibt

Von der Radiosendung bis zum Kletterturm: Erinnerungen aus 15 Jahren Stadtteil-Botschafter.

zurück zur Jubiläumsseite